Irgendwie war ich nie so ein richtiger Teenie. Klar, auch ich hatte furchtbar schlechte Haut, abscheuliche Frisuren (ja, ja, die jungen 2000er) und einen großen Freiheitsdrang nach links und rechts und vor und zurück … Aber mich trieb es nie auf irgendwelche Underage Partys, wo zu Wodka-Energy und schlechtem Pop die eigene jugendliche Unverwundbarkeit gefeiert und das erste Mal ein bisschen gegrabscht wurde. Stattdessen suchte ich mit meiner besten (damals noch unbegrabschten) Freundin – und philosophischen Lunchpaketen im Gepäck – stundenlang die Abgeschiedenheit in der Natur auf.

Mogli3589 im Großstadtdschungel 

Als kleiner Großstädter hatte ich das Glück, in direkter Nachbarschaft mit der grünen Seite unserer Hauptstadt zu leben.Der Spandauer Forst war mein Abenteuerspielplatz, mein Dschungel, mein Kosmos. Nennt mich Mogli13589. Im Berliner Umland soll es übrigens wieder Wölfe geben – besser wären jedoch einige Homo Sapiens mehr. Bei unseren Ahnen galt die Erde als Große Mutter – zu recht. Die Erde ist unsere Wiege. In ihr werden wir geboren, sie ernährt uns. Auf ihr lernen wir das Laufen, mit beiden Beinen fest auf dem Boden zu stehen. Die Natur streichelt unsere überreizten Sinne, tröstet unsere unruhigen Seelen. Ganz so, wie es eben nur eine fürsorgliche Mutter kann.

Mal wieder öfter auf die Sonnenuhr schauen

Heute, in der modernen Welt, sind wir längst abgenabelt, entbunden, haben Mama Lebewohl gesagt und scheinen mit Sack und Pack ausgezogen zu sein. Der Mensch orientieret sich an Ampelschaltungen statt an den Mondphasen, richtet sich nicht mehr nach dem Stand der Sonne, sondern glotzt zum Ablesen der Zeit an sein Handgelenk oder zückt die Kompass-App, sofern ihn die Himmelsrichtungen überhaupt noch interessieren. Hat der moderne Homo Sapiens eigentlich verlernt, wie wunderbar Kiefernharz duftet und wie magisch sich die zerstäubte Waldluft nach einem Regenschauer anfühlt?

Muttersöhnchen_Titelbild

Sind Ärzte die besseren Heiler? 

Wir legen unsere Gesundheit in die Hände von Ärzten und Pharmaunternehmen, und wundern uns, wieso trotz bester medizinischer Versorgung unsere Psyche streikt und unsere Körper somatisieren. Und das Schlimmste: Wir begreifen die Natur nicht mehr als A und O unseres irdischen Lebens, sondern als ein Hindernis auf dem Weg von A nach B, das planiert, zubetoniert und bebaut werden muss. Wohnen und leben können wir nur noch mit U-Bahnanbindung, Supermärkten, Lieferservice und Ausgehprogramm.

Tanz auf Waldlichtungen statt auf dem Techno-Floor!

Aufgewacht!, zwitschert der Grünfink pünktlich eine halbe Stunde nach Sonnenaufgang – ein echter Frühaufsteher. Aufgewacht!, zwitschere auch ich mit medialem Singstimmchen. Pflanzen, Steine, Seen und Wiesen sind mehr als kristalline Strukturieren, Grünzeug, Wasserlöcher oder Pampa. Man kann mit ihnen spielen, ihnen lauschen, sie umarmen, sich in ihnen versenken, Geheimnisse mit ihnen teilen, mit ihnen lachen, weinen, ein Nickerchen machen. Ein Tanz, barfuß, auf einer Lichtung macht so viel reicher, als verdrogte Reigen zu schlechtem Techno (nichts gegen Techno!).

Lade Mutter Erde in deine Stadtbutze ein!

Für mich ist die Natur noch immer das wirksamste Mantra von allen, einfacher als jede Mediation und greifbarer als jedes Gebet. Ein Weg zu uns selbst. Der beste Therapeut. Wenn ich Erde in die Hände nehme, mir die Nägel schmutzig mache, wenn ich Wurzelballen eintopfe, im Wald das Laub jage, meine Finger Baumrinde erfühlen, wenn ich die Schuhe ausziehe, durch Sümpfe wate oder Frostblumen auf dem Boden bestaune, dann spüre ich die Ganzheit, erahne woher ich komme und wohin ich irgendwann wieder gehe. Jeder der seine eigenen Erdbeeren im Schrebergarten anbaut, morgens zum Joggen in den Park hüpft oder die obligatorische Zamioculcas (tolle Pflanze, übrigens!) in die triste Wohnzimmerecke stellt, der weiß, wovon ich spreche.

Gestehe dir Mamas Rockzipfel zu!

Die Verbindung zur Natur steckt in uns allen, ist ein archaischer Teil unseres Seins. Jeder von uns sucht die Nähe der Großen Mutter ganz intuitiv im Alltag, nur sind sich dabei die wenigsten ihrer unglaublichen meditativen, spirituellen und heilenden Kraft bewusst. Ich schon. Ich brauche sie. Sie ist meine Göttin, mein Ruhepol, mein Inspiration. Schimpft mich also ruhig Muttersöhnchen – ist mir egal. Denn ich bin ein stolzes Muttersöhnchen. Stolz auf Mutter Erde.