Nichts im Leben bewegt uns Menschen im tiefsten Inneren so sehr wie die Liebe. Wir werden getrieben von einer magischen Sehnsucht, unserem Seelenpartner zu begegnen, unseren Weg miteinander zu teilen und gemeinsam die Kunst der Liebe zu zelebrieren.
Unsere Perspektive auf die Liebe ist dabei erschreckend hollywoodgeprägt. Sie ist begrenzt auf den Zustand der wunderbaren Verliebtheit, der uns den Partner durch die rosarote Brille sehen lässt und alle zwischenmenschlichen Probleme durch den verabreichten Endorphincocktail charmant verpuffen lässt. Vorerst versteht sich.
Wahrhaftige Liebe fängt an, wo der Zustand der Verliebt abebbt. Wo wir Tag für Tag den Beziehungsalltag mit all seinen Höhen und Tiefen meistern müssen, unsere Knöpfe permanent gedrückt werden und wir über uns hinauswachsen – einzeln und im Kollektiv.
So leid es mir tut. Dein Traum vom ewigen Walt-Disney-Märchen muss endgültig zerplatzen, falls du wahrhaftige, lebendige Beziehungen leben willst. Du musst dich frei machen von allen Idealen. Deinen Liebeshorizont öffnen. Und eine Liebesfähigkeit in deinem Herz entfachen, die dich jenseits aller Hollywoodprägungen bedingungslose Liebe geben und empfangen lässt.
Packen wir’s an. So verbannst du das hartnäckige Walt-Disney-Märchen aus deinem Mindset und übst dich in der Kunst lebendiger Beziehungen:
1. Hör auf, nach Ganzheit in deinen Beziehungen zu streben. Es ist die neverending Story auf dem Weg in die Liebesfähigkeit: Selbstliebe. Nur du selbst kannst dich ganz machen. Indem du lernst, dich selbst zu lieben und dadurch ein stabiles Fundament für gesunde Beziehungen schaffst. Falls du ein massives Selbstliebeproblem hast und insgeheim die Hoffnung hegst, dass dein Partner dafür in die Presche springen wird, wird jede Beziehung früher oder später zur unüberwindbaren Herausforderung.
2. Löse dich von deinem imaginären Kriterienkatalog. Dein Ego hat sich im Bezug auf deine Liebesbeziehung eine Traumcollage gebastelt, die dich verblendet und in deiner Liebesfähigkeit blockiert. Wahrhaftige Liebe ist kein Wunschkonzert. Sie tritt in unser Leben und ist ein Meister darin, das gigantische Gedankenkonstrukt an Erwartungen zum Einstürzen zu bringen. Erwartungsfrei sind wir nie. Doch wenn du freien Herzens lieben lässt, musst du deinen Liebeshorizont öffnen. Und wagen, auch mal unkonventionelle Liebespfade einzuschlagen, die eigentlich nicht den Vorstellungen deines Egos entsprechen.
3. Gib in Beziehungen niemals deine Identität auf. Niemals! Zu Gunsten der vermeintlich funktionierenden Beziehung schlüpfen wir gerne in Rollen, die absolut nicht uns entsprechen. Wahrhaftige Liebe in Beziehungen heißt „Sein mit allem, was ist“. Mit deinem Licht und deinen Stärken. Und deinem Schatten, ja den tiefsten Abgründen deiner Seele. Mit deinen Träumen und Zielen. Mit all deiner Selbstverwirklichung. Sobald du beginnst, all dies für deine Beziehung aufzuopfern, leugnest du dein wahres Selbst und beschreitest einen Weg, der die Beziehung zwar aufrechtzuerhalten vermag, dich aber langfristig ins Unglück stürzen wird.
4. Lerne, Distanz zu schätzen! Klett-Klammer-Aufeinanderhäng-Beziehungen können phasenweise erfüllend sein. Insbesondere, solange der Endoprhin-Cocktail dich zum Liebesjunkie mutieren lässt. Alles gut, alles schön. Doch langfristig wird eure individuelle Entwicklung auf der Strecke bleiben, wenn ihr euch nicht genügend Freiraum gewährt. Habt Mut zur radikalen Ehrlichkeit. „Ich hab heute absolut keinen Bock auf dich und brauche Zeit für mich!“ Wundervoll. So soll’s sein.
5. Lege deine Harmoniesucht ab! Meiner Ansicht nach das bedeutsamste Kriterium funktionierender Beziehungen: Die Fähigkeit, Konflikte offen und leidenschaftlich miteinander auszutragen. Gemeinsam die Fetzen fliegen lassen. Den Mut aufbringen, rigoros für die eigenen Standpunkte einzustehen anstatt faule Kompromisse einzugehen. Egal wie harmoniebedürftig du bist oder die Angst in dir trägst, abgelehnt und verlassen zu werden, wenn du kraftvoll in die Offensive gehst und einen Streit heraufbeschwörst. Falls du authentische Beziehungen leben willst, musst du dich von der Illusion permanenter Harmonie verabschieden und eine offene Streitkultur willkommen heißen!
6. Akzeptiere voller Demut: Es muss nicht für immer sein! Wer träumt nicht von der ewigen Liebe? Allerdings entspricht in der heutigen Zeit eher die weniger romantische Vorstellung der sogenannten Lebensabschnittspartner der Realität. Und das macht Sinn! Wenn das Entwicklungspotenzial von Beziehungen vollends ausgeschöpft ist, verspüren wir in den Tiefen unserer Seele oftmals den Drang, weiterzuziehen und neue Wege zu beschreiten. Anstatt sich an Vergangenem festzuklammern, das sich für die Gegenwart nicht mehr stimmig anfühlt, finden wir unseren Frieden dann ausschließlich in radikalen Umbrüchen und Neuanfängen.
Das Walt-Disney-Märchen aus dem eigenen Mindset zu verbannen, kann ein schmerzvoller und trauriger Prozess sein. Die Hollywood-Prägung ist mächtig und suggeriert unserem suchenden Ego Ganzheit und Erfüllung, wenn die Liebe in unser Leben tritt. Entziehen wir unserem Ego diese Fantasie, sehen wir uns oft mit einem Zustand der Leere konfrontiert.
Diese Leere können wir dann allerdings mit lebendigen Beziehungen füllen, die die Weiterentwicklung unserer Seele fördern und unsere oftmals sehr stark an Bedingungen geknüpfte Liebesfähigkeit schulen.
„Ich mache mich auf die Reise zu meiner wahren Liebesfähigkeit, die dort beginnt, wo der Rausch der Verliebtheit abebbt. Ich mache mich frei von allen Vorstellungen, wie Liebesbeziehungen zu sein haben und lasse mich mutig auf das Abenteuer lebendiger Liebe ein.“
Trau dich!
Dein
Ich bin beflügelt über die Art und Weise, wie du schreibst. Wunderschön ehrlich und dennoch fast hollywood-reif liebevoll ;-)) , wie du deine Wahrheit in die Texte packst. Und dieser hier, der hat es mir besonders angetan. Weil so nah. Weil so – hmm – so „ich“. Danke.
Was ein Kompliment! Das berührt mein Herz. <3
Absolut wahr! Mehr kann ich dazu nicht schreiben lieber Ludwig…
Hallo Ludwig,
ich schätze deine Worte sehr und finde es toll, dass sie meinen Nerv treffen. Auch ich will mich von diesem Prinzessinnen-Traum lösen, der nun jahrelang in meinem Kopf herumgeistert.
Seit ich an meiner „Schizophrenie erkrankt“ bin habe ich festgestellt und wahrgenommen, dass ich mein Leben grundlegend ändern muss, ganz besonders im Bereich der Liebe (nach innen wie auch nach außen). Ja, es tut irgendwo etwas weh mich damit zu konfrontieren, dass ich mit anderen keine Komplettierung meiner selbst erwarten kann und auch, dass zwischenmenschliche Verhältnisse stets einen fluktuierenden Charakter besitzen, besonders deshalb, weil ich mich als einsam empfinde und den Sprung in ein lebhaftes soziales Netz doch noch nicht so recht schaffe. Vielleicht sollte ich nicht so anspruchsvoll darin sein, dass mich meine Mitmenschen mit der Schizophrenie verstehen oder mich damit wenigstens bedingungslos annehmen? Andersrum will ich mich nicht verstellen müssen. Es ist wie ein Strudel im Spaßbad: Ich will raus aus der Einsamkeit, kämpfe gegen ihre Strömung an, die Kraft reicht mir nicht aus und so zieht sie mich immer wieder in das Zentrum (bzw. in meine Kellerwohnung, wo ich kaum Besuch empfange). Besonders in meinem Wohnort kenne ich kaum Menschen, bei denen ich offen ich selbst sein kann… Leider ist es dann auch so, dass ich durchaus an den wenigen Kontakten zu klammern strebe, die sich von mir nicht ausdrücklich abgewendet haben und noch nette Worte für mich finden. Da muss ich mir einige Tage selbst Kontaktverbot erteilen, um ihnen nicht auf den Sack zu gehen. Das Selbstbild der verzweifelt und verbissen Klammernden passt mir sowieso nicht in den Kram.
Ja, ich bin gut so, wie ich bin, wer aber außer mir sieht in meiner Einzigartigkeit mehr als die Einsamkeit und die „wirren“ Gedankengänge, für die es vielleicht ein Philosophiestudium braucht, um sie zu verstehen? Und auch in Bezug auf die Sexualität kann ich mich nicht davon lösen, mich nur dann wohl fühlen zu können, wenn ich mich mit dem Sexualpartner auch von Herzen verbunden fühle. Es ist eine Krux.
Womöglich ist es auch so, wie mir schon der ein oder andere nahebringen wollte: „Auf dem Land findest du nicht die Leute, die du brauchst. Dazu musst du in eine Großstadt ziehen, wo es mehr Alternative gibt.“ – Die Vorstellung, in einer Welt aus Beton, Glas und Metall, ständigem Rumgewusel und der Abwesenheit von Wald und Flur zu leben, stimmt mich allerdings auch nicht wahrlich zufrieden.
Du aber mach weiter so. Ich finde dein Engagement toll! Danke dafür =)
Maria
Hallo Ludwig,
ich finde Deinen Artikel super. Ich möchte dazu noch sagen, dass alles seine Zeit und seinen Grund hat, auch die Illusion. An die, die noch darin gefangen sind: lebt es in Gedanken aus. Irgendwann werdet Ihr sie vielleicht nicht mehr brauchen, weil der dadurch erfahrene Schmerz Euch letztlich zur Heilung verhilft.
P.S.: Schade, dass Du bei Twitter nicht aktiv bist.
Liebe Grüsse
@healthpreventi