Schon länger wollte ich über dieses Thema schreiben. Heute fühlt es sich richtig an. Wieso, kann ich dir rational gar nicht erklären. Es will raus! Niedergeschrieben werden. Meine persönliche Sichtweise zu offenen Beziehungen, die in Anbetracht unserer selbsterklärten „Generation Beziehungsunfähig“ für viele Menschen dort draußen als endgültige Lösung des inneren Konflikts zwischen Nähe und Freiheit betrachtet werden. Eine schlechte Nachricht vorweg: Liebes-und Beziehungsfähigkeit in der Polyamorie zu suchen, wenn es in geschlossenen Partnerschaften nicht klappt, scheint auf rationaler Ebene Sinn zu machen. Wenn du aber generell Probleme hast, dein Herz zu öffnen, dich auf die Erfahrung von Nähe und emotionaler Verbindung einzulassen, die deine Seele gleichermaßen nährt und verwundbar macht, dann wirst du auch in polygamen Beziehungen keine dauerhafte Erfüllung finden.

So beobachte ich, wie sich viele Liebesstrebende dort draußen fragen,welche Liebesform, welches Beziehungskonzept am besten zu ihnen passt. Ihren Fokus nach Außen statt nach Innen richten und dadurch die viel wichtigeren Fragen vernachlässigen: „Wie liebesfähig bin ich? Wie sehr in der Lage, fernab der Kontroll-und Schutzmechanismen meines Egos Liebe zu geben und zu empfangen? Und welche Blockaden, Wunden und Ängste halten mich nach wie vor davon ab?“

Darum geht es nämlich wirklich. Um die Liebe. Nicht um die Form, wie sie gelebt wird.

Diese ist und bleibt Geschmackssache. Und mit Geschmackssache meine ich durchaus einen Geschmack, der sich ändern kann. Der abhängig ist von Lebensphase – Lernaufgaben, die auf Seelenebene bewältigt werden möchten – ja von dem, was gerade für dich ansteht, um in deiner Liebesfähigkeit einen Schritt weiterzukommen.

Denn das will die Seele zweifelsohne. Dich in deiner Liebesfähigkeit fördern. Und das kann über vielerlei Wege geschehen. Unter anderem auch über Polyamorie. Vorausgesetzt du lässt dich wirklich darauf ein. Polyamorie kann jeder, wenn er darunter luftige Liebeleien versteht, bei denen das Herz schön verschlossen bleibt. Unter einem Schutzpanzer, der jegliche Form von wahrhaftiger Nähe und emotionaler Intimität verhindert. Doch ein Paar, das sich wirklich mit Haut und Haaren auf die Selbsterfahrung der Polyamorie einlässt, wird dadurch mit Lichtgeschwindigkeit an die Verletzungen des eigenen inneren Kindes herangeführt. Bekommt alle Ego-Muster des „Sich Vergleichens“, „Kontrollieren wollens“ und „Sich nicht geliebt, nicht gut genug Fühlens“ auf intensive Weise zu spüren.

„Ich bin nicht so der eifersüchtige Typ“ ist leicht gesagt. Tue ich auch immer gern. Und auf rein oberflächlicher Ebene bin ich das auch nicht.

Doch wir alle tragen ein mehr oder minder verletztes inneres Kind in uns. Das große Angst vor Liebesentzug hat. Abhängig ist von der Liebe, Bestätigung und Zuneigung unserer Mitmenschen. Umso mehr wir dieses innere Kind unterdrücken, seine Verletzlichkeit nicht würdigen und uns rein emotional auf den Podest des völlig abgeklärten Erwachsenen stellen, desto mehr hat es uns im Griff.

Willst du also eine offene Beziehung führen, die dich wirklich von innen heraus nährt – und das tut sie nur, wenn du dein Herz öffnest und dich einlässt -, solltest du in einen engen Kontakt mit deinen Gefühlen, deiner Verletzlichkeit, ja deinem inneren Kind treten. Es schützen, wenn der Schmerz zu groß wird. Klare Grenzen setzen, wenn der Preis für die Benefits der Polygamie zu hoch wird und deine emotionale Verwundbarkeit würdigen.

Wenn du bereit bist, dein Herz auch für den Schmerz zu öffnen, der durch die freie Liebe getriggert wird, kann eine offene Beziehung ein großartiger Herzöffner und Erkenntnisbooster sein. Dich in engen Kontakt mit jenen ganz normalen Gefühlen der Eifersucht und Verlustangst bringen, was zu großartiger Heilung und Transformation führen kann.

Durch diese Erfahrung können wir, so glaube ich, tatsächlich ein großes Tor Richtung Freiheit und Selbstliebe beschreiten. Lernen, Kontrolle abzugeben, unsere uns quälenden Ego-Mechanismen hinter uns zu lassen und unseren Liebeshorizont auf heilsame Weise zu erweitern.

Unter einer Bedingung: Dass wir Polyamorie nicht dazu benutzen, um vor unseren Gefühlen, inklusive unserer emotionalen Wunden, zu flüchten … dass wir sie nicht dazu benutzen, um uns wieder einmal nicht ganz auf jemanden einlassen zu müssen … sie nicht dazu benutzen, um noch mehr innere Leere zu stopfen. Sondern uns offenen Herzens der Erfahrung hingeben, die Grenzen der klassischen Partnerschaft zu sprengen und alle damit einhergehenden Emotionen – positive wie auch negative – liebevoll anzunehmen. 

Nur dadurch ergibt sich die Möglichkeit wahrhaftiger Nähe und Lebendigkeit, die unser Herz nährt, öffnet und mit Liebe erfüllt. Durch emotionale Intimität mit dir selbst. Und emotionale Intimität mit deinem Partner. Egal in welcher Beziehungsform du lebst.

Kein Beziehungskonzept dieser Welt kann dein Herz mit Liebe füllen. Dies vermag nur die Liebe selbst! Die Liebe zu dir. Und zu den Menschen, für die du dich emotional öffnen möchtest.

Erst dann bist du in der Lage, frei und nicht fremdbestimmt und in Kontakt mit deiner innersten Wahrheit zu wählen, wie du deine Liebe leben möchtest. Jeden Tag neu.

Dein

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Photo Credit: Schall & Schnabel