Gehörst du auch zu jenen Menschen, die Unverletzbarkeit anstreben? Die in zwischenmenschlichen Beziehungen in einer Komfortzone verweilen, in der die Kontrolle über die eigene emotionale Souveränität gewahrt werden kann? In der gar nicht erst die Gefahr eines Gefühls von Abhängigkeit, Verlustangst, ja emotionaler Verwundbarkeit aufkommen kann?

Ich gehöre zu diesen Menschen. Und habe mich in den letzten Monaten im Schutzraum der freien Liebe, die nur dem Moment gehört, unterbewusst als schier unverletzlich gewähnt. Habe mich als freier Liebender verstanden, der offenen Herzens unangreifbar durch das Leben tänzelt.

Das klingt schön. War es auch. Die letzten zwei Wochen allerdings haben für mich eine Wahrheit ans Tageslicht gebracht, die heftig und doch liebevoll an meinem Selbstbild gerüttelt hat. Ich verstand:

„Lieben ohne das Zulassen auftauchender Gefühle von Bedürftigkeit, Abhängigkeit und Schwäche hält dich zwar in der Komfortzone der Unverwundbarkeit. Doch sie macht dich gleichzeitig unnahbar. Dir selbst und deinen Beziehungen gegenüber.“ 

Natürlich ist es schwierig, diesen Kontrollschalter umzulegen, mit dem wir bewusst steuern, was wir von uns zeigen wollen. Das Leben hat uns hart gemacht und uns die Illusion eingeimpft, dass unsere Schwäche uns nur immer noch mehr Schmerz bereiten wird. Denn leidvolle Beziehungserfahrungen haben uns dort verwundet, wo wir am schwächsten sind und unserem Ego einen Schutzmechanismus mit an die Hand gegeben, der immer dann greift, wenn emotionale Verletzungsgefahr besteht.

Hierfür verspüre ich eine große Dankbarkeit! All diese schmerzvollen Erfahrungen haben mich auf den Weg in die eigene Vollkommenheit geführt. Und in mir auf tiefster Ebene die Erkenntnis reifen lassen, dass wir uns nur selbst ganz machen können. Welch ein großartiges Geschenk, diesen Pfad in die Selbstliebe zu beschreiten und sich von der Abhängigkeit von klassischen Paarbeziehungen zu befreien, die auf bloßer egobasierter Bedürfniserfüllung beruhen!

Doch tief drin, und das merke ich jetzt, habe ich auf diesem Weg in die vermeintliche Vollkommenheit meine eigene Verletzlichkeit, ja all diese Schwäche und Bedürftigkeit, die meinem Wesen ebenso zu Grunde liegt wie die Freiheit, Souveränität und Leichtigkeit, von meiner Seele abgeschnitten. Und mich dadurch getrennt von etwas, was unvermeidlich zu mir gehört.

Wie kann ich mich also komplett fühlen und einen dauerhaften Zustand des Seelenfriedens erreichen, wenn ich meine Verletzlichkeit verdränge?

Richtig. Das ist schier unmöglich!

Genauso unmöglich wie unter dieser Voraussetzung lebendige, intime Beziehungen zu führen, in denen man sich so zeigen kann, wie man ist. In denen man Nähe zulässt nicht nur dann, wenn man sich stark und unverwundbar fühlt. Sondern in denen man sich zu jeder Zeit emotional nackig macht, sich die Erlaubnis zur Bedürftigkeit, Abhängigkeit, Schwäche und Unsicherheit gibt.

Was ist für dich Selbstliebe? 

Verknüpfst du sie mit diesem einen Endziel, dich jederzeit vollkommen zu fühlen? Ich hatte diese Assoziation lange in meinem Kopf. Immer wieder musste ich allerdings begreifen, oft auch auf schmerzvolle Weise, dass es nicht darum geht, sich jederzeit im Zustand stoischer Gleichgültigkeit und bedingungslosen inneren Friedens zu wähnen. Es geht viel mehr darum, Frieden zu schließen mit allem was ist. Mit all deinen Unzulänglichkeiten. Deinen Schwächen. Deinen Abhängigkeiten. Deiner Bedürftigkeit.

Die Liebeserklärung an deine Weichheit, an deine zarte Verletzlichkeit macht dich wahrhaftig liebesfähig!

Das Liebesleben lässt uns gefühlt nicht viel Spielraum für Authentizität. Zu groß lastet der Druck auf uns, möglichst locker, unabhängig und stark zu wirken. Na klar! Abhängigkeit ist unsexy. Wir wollen frei sein. Und wir wollen frei wirken – auf dieses Date, das uns in unseren Augen so lange lieb hat, bis wir anstrengend werden und Erwartungen stellen. So erliegen wir auf dieser eigentlich so wundervollen Spielwiese der Liebe der Illusion der Selbstoptimierung. Und kreieren dabei ein verzerrtes Bild von uns selbst, das alle Schwächen und Bedürftigkeiten ausblendet. Bis die Masken irgendwann fallen. Und sich all unsere wunden Punkte zeigen, die wir zuvor zu verstecken versuchten.

Und genau darin liegt der Schlüssel zu wahrer Liebesfähigkeit und Nähe. Diesem Menschen, den du gut findest, authentisch gegenübertreten zu können und die Fassade der Unverwundbarkeit abzulegen. Ihm gegenübertreten zu können mit all deiner Weichheit und Unsicherheit. Dich zu zeigen, obwohl du gerade nicht der besten Version deiner Selbst entsprichst. Dich zu zeigen, so wie du bist. Nicht wie du sein willst. 

Die letzten zwei Wochen durfte ich eine triumphale Rückkehr meiner eigenen Verletzlichkeit erleben. Durfte erleben, wie die permanente „Ich bin mir selbst genug“-Fassade einstürzte und Platz machte für etwas viel Besseres. Für ein wahrhaftigeres Ich, das sich natürlich unsicher fühlt, wenn das Date vom Vortag sich nicht mehr meldet. Das sich natürlich in Frage stellt, wenn der Nachrichtenfluss bei Whatsapp nur schleppend vorangeht und ich mir eingestehen muss, dass wohl kein Interesse vorhanden ist. Das Angst hat, jemandem auf den Sack zu gehen, wenn ich klar und deutlich signalisiere, dass ich es schön mit ihm finde. 

Und weißt du was?

Nachdem ich mit mit diesen Gefühlen zunächst gar nicht anfreunden konnte, fand ich’s richtig geil. Spürte, wie schön es wahr, dieser Sanftheit wieder Raum in meinem Herzen zu gewähren. Diese Schwäche mit offenen Armen zu empfangen: Welcome back!

Es ist mein persönlicher Akt der Selbstliebe, die Fassade der Unverletzbarkeit, von der ich mir Liebe und Nähe versprach, abzulegen. Und sie stattdessen liebevoll anzunehmen. Das ebnet den Weg für wahre Liebe. Für wahre Nähe. Zu uns selbst und zu allen Anderen. 

Deine Verletzlichkeit ist wundervoll. Sie entspringt der selben Quelle der Sanftheit, aus der du auch deine Fähigkeit, Liebe zu geben und zu empfangen, beziehst. Perfektionistische Härte verschließt dein Herz. Deine Erlaubnis an die Verwundbarkeit, sich in all ihren Facetten zu zeigen, öffnet es.

Heiße mit dieser Affirmation deine Verletzlichkeit willkommen:

„Ich gebe mir die Erlaubnis, bedürftig, schwach und emotional verwundbar zu sein. Ich hole alle jene verwundbaren Anteile zurück, die ich aus Angst vor Verletzungen von mir abgeschirmt habe und erreiche dadurch wahre Vollkommenheit.“

Lebe und liebe dein verletztes Selbst!

Dein

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