Es gibt jene Phasen, in denen ich fast schwebe auf dieser Welt. In denen ich mich leicht, beschwingt, im Flow mit allem was ist fühle und aus jeder Zelle meines Körpers nur so vor Kraft und Selbstliebe strotze. In diesen Phasen kann ich mein Glück kaum fassen. Ich freue mich dann, dass all die Innenarbeit, die ich mit mir selbst betreibe, ihre Früchte trägt. Und bin dankbar, Gott und mir selbst gegenüber, dass ich auf jenem Weg wandern darf, den ich tief in meinem Herzen fühle.
Mein Leben ist dann von jenem Licht und jener Liebe beseelt, nach dem wir alle streben. Jenes Licht und jene Liebe, das in allen Lebensratgebern, allen spirituellen Bücher als Leitmotiv für ein erfülltes Leben angepriesen wird. Jenes Licht und jene Liebe, das uns Hoffnung gibt, weiterzumachen, auch wenn sich die Dunkelheit aus den Tiefen unserer Seele auftut.
Dieser Ansatz hat natürlich seine Berechtigung. Und doch habe ich für mich erkannt, dass er auch zur Falle werden kann. Eine Falle, die uns suggeriert, das Leben wäre falsch, wenn es gerade nicht Licht und nicht Liebe ist. Ja, wir wären falsch, wenn wir gerade nicht Licht und Liebe sind. Klingt das frei und lichtvoll? Für mich nicht. Es klingt nach Angst. Nach der Scham, die in uns aufsteigt, wenn wir unseren eigenen spirituellen Ansprüchen nicht gerecht werden können. Nach einer Schmerzvermeidung, mit der wir ein Leben lang damit verbringen können, unsere eigene innere Dunkelheit mit Licht und Liebe zu überpinseln.
Ich glaube, dass wir unser inneres Licht auf Dauer nur mit Mut zum Schmerz und Mut zur Dunkelheit finden können.
Und ich glaube, dass unser Streben in der Praxis nicht so sehr darauf ausgerichtet sein soll, glücklich und frei zu sein, sondern darauf, uns jenem Schmerz zu stellen, der uns unglücklich und unfrei sein lässt. Anstatt uns dieses Glücklich sein, diese Liebe aufzudrücken, sollten wir uns jenes in uns anschauen, was nicht glücklich, was nicht in der Liebe ist und nur darauf wartet durch unsere Zuwendung erlöst zu werden. Je intensiver wir mit unserem Schmerz verbunden sind, je intensiver wir uns dem in uns widmen, was nach Erlösung schreit, desto mehr erfahren wir, dass Liebe und Freiheit ein völlig natürlicher Zustand sind, der von unserem Schmerz überschattet wird. Desto näher sind wir unserem inneren Licht, das wie von selbst erstrahlt, wenn wir unseren Schmerz liebevoll annehmen und jene dunkeln Muster heilen, die ihn nähren.
Unsere schmerzvollen Anteile, ja unsere verlassenen, verletzten, bedürftigen inneren Kinder können wir nicht einfach so wegmachen.
Speziell wir sensitive Seelen, die ihren Schmerz sehr intensiv fühlen, ja Unfrieden in ihrer Seele sofort wahrnehmen, fragen uns oft:
Wann bin ich endlich geheilt?
Und damit meinen wir jenen Zustand, in denen wir nur noch ausschließlich jenes Licht und jene Liebe verspüren, nach denen wir uns so sehr sehnen. Wir wünschen uns Kontrolle. Kontrolle über unser Glück, Kontrolle darüber, schmerzvollen Situationen vermeiden zu können. Am liebsten würden wir unsere negativen emotionalen Muster und die dahinter liegenden Verletzungen mit einem Schlag weg transformieren und für immer und ewig unsere Ruhe mit dieser oft leidvollen Konfrontation mit unseren Gefühlen haben.
Ich bin in den letzten Jahren intensiv in diese Welt der Heilung eingetaucht und fühlte mich durchgerüttelt und durchgeschüttelt in einem Schleudergang in Höchsstufe „Highly Transformative“. Dabei habe ich unglaublich heilsame Tools mit auf meinen Weg genommen, die mich ein großes Stück näher zu diesem Licht, zu dieser Liebe gebracht haben, von der immer alle reden.
Doch nichts war auf diesem Weg so wertvoll wie die Erkenntnis, dass es nicht darum geht, den Schmerz aus meinem Leben zu verbannen. Nicht darum geht gegen diesen Schmerz zu kämpfen, ja gegen das in mir zu kämpfen, was weh tut und weder licht-noch liebevoll ist. Sondern darum, den Schmerz zu fühlen, ihn zuzulassen, seinen Lektionen zu lauschen und ihn unvermeidlich an Bord auf die Reise zu mir selbst zu holen. Dort wo ich tatsächlich, ganz, heil, licht- und liebevoll bin. Mit meinem Schmerz. Mit dem, was weh tut.
Je intensiver wir versuchen, uns von unseren inneren verlassenen, emotional verwundeten inneren Kindern abzuspalten, uns eine krampfhaft mit Licht und Liebe bepinselte Maske auf zu zwängen versuchen, desto verzweifelter, desto hilfloser schreien diese verletzten Anteile in uns nach Liebe und Aufmerksamkeit und drohen uns in ihrem Schmerz förmlich zu verschlucken. Und genau dann passiert das, was wir um jeden Preis vermeiden wollten: Wir werden zum Opfer unseres Schmerzes statt zum Schöpfer unseres Lebens!
„Ich halte zu mir mit all meinem Schmerz … „
Und da gibt es diese anderen Tage, die sich so konträr zu jenen anfühlen, die ich Anfang des Artikels beschrieben habe. Tage, an denen ich den ganzen Tag im Bett verbringen will. Tage, an denen mir das, was dort draußen vorgeht, viel zu viel ist und sich meine Seele einfach nur verkriechen will mit dem Schmerz, den sie in sich trägt. Tage, an denen jeder Ansatz zu funktionieren kläglich scheitert. Und Tage, an denen es mich trotz der Dunkelheit mit Glück erfüllt zu spüren: „ICH HALTE ZU MIR MIT ALL MEINEM SCHMERZ.“ Das sind diese Tage, wo ich gelernt habe, ganz sanft und liebevoll mit mir umzugehen. Tage, an denen ich mich ganz meiner Heilung widme, stundenlang im Bett verbringe und die Zeit meinem Innenleben und meiner Heilung widme. Es sind die Tage, wo ich dazu aufgerufen bin, eins zu werden mit meinem Schmerz. Eins zu werden mit mir. Eins zu werden mit der Erkenntnis, dass der Schmerz zum intensiven, bewussten Menschsein dazugehört. Und dass ich darin den Schlüssel zu einer Freiheit, zu einer Ganzheit in mir selbst finden kann, der sich so viel besser anfühlt als ein ganzes Leben lang dem Glück und der Liebe hinterher zu jagen.
So much love,
Dein manchmal richtig verletzlicher
Hey Ludwig, das ist absolut wunderbar wahrhaftig und spricht mich in meiner aktuellen Befindlichkeit und „WESENtlichkeit“ sehr sehr stark an, was Du erkennst und empfindest und mit der Welt teilst.
Danke dafür Du Wunder!
Herzliche Grüße
Philipp